Positionspapier Nachhaltige Bodenpolitik durch verantwortungsvolle Siedlungsflächennutzung

 

Antragssteller*in:
Arbeitskreis Bodenpolitik

Beschlussdatum
29. August 2024

Erste Skizze eines Städtebaulichen Entwurfs
erste Skizze eines städtebaulichen Entwurfs


Klimaverträgliche Stadt- und Siedlungsentwicklung heißt, die Erweiterung unserer Siedlungsräume wirksam zu begrenzen und bis 2050 im Wesentlichen zu beenden. Denn die weiter fortschreitende Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrsflächen geht nicht nur zulasten von Wald, Wiesen und Ackerböden. Mehr Siedlungsfläche bedeutet in der Regel auch mehr Emissionen, mehr Verkehr, mehr Energieverbrauch, mehr Abfall und mehr Gefahren von Hochwasser- oder Trockenheitsereignissen. Gerade auch weil inzwischen zusätzliche Flächenbedarfe für die industrielle Transformation, die Energieversorgung und die Anpassung an den Klimawandel zu berücksichtigen sind, ist es erforderlich, die bereits beschlossenen Ziele der Siedlungs- und Verkehrsflächenbegrenzung jetzt nicht mehr weiter aufzuweichen, sondern diese noch konsequenter umzusetzen. Gleichzeitig muss die effizientere Nutzung von Bestands- und Neubauflächen sowie die Renaturierung von nicht mehr benötigten versiegelten Flächen mit verbindlichen Zielvorgaben und Umsetzungsstrategien vorangetrieben werden.

A) Zur Begrenzung der Umwandlung von landwirtschaftlichen Flächen und Wald in Siedlungs- und Verkehrsflächen sollen folgende rechtliche Änderungen angestrebt werden:

  1. Der Bund macht den Ländern einheitliche Vorgaben zur Kontingentierung der Inanspruchnahme von neuen Siedlungs- und Verkehrsflächen, die das 30–HektarZiel für 2030 und das Netto-Null-Ziel für 2050 für jedes Bundesland konkret machen. Das dabei bis 2050 vorhandene Gesamtkontingent von rund 240.000 ha wird über einen verbindlichen Schlüssel auf die Länder verteilt. Die Länder stimmen im Rahmen der Landesraumordnung über die Regionalplanung mit den Kommunen die quantitative Umsetzung und Zuteilung von Flächenkontingenten für die lokale Ebene ab. Dabei sollen auch Vorgaben für die Nutzungsdichte in Wohnsiedlungsbereichen gemacht werden.

    Um die Begrenzung des Flächenverbrauchs mit angemessenen kommunalen Handlungsspielräumen für unterschiedliche Siedlungsentwicklungen zu verbinden, stehen zwei Strategien unter Expert*innen zur Diskussion. Mit diesen alternativen Instrumenten kann das Flächenrecycling und somit die Flächenkreislaufwirtschaft angekurbelt werden:

    • a) In den Kommunen werden die Flächenkontingente in Form von Flächenzertifikaten für einen interkommunalen Handel zugeteilt. . Gemeinden, die mehr Raum zur Erweiterung ihrer Siedlungs- und Gewerbeflächen benötigen als sie an Zertifikaten erhalten haben, können von anderen Gemeinden Zertifikate erwerben. Kommunen, die ihre Flächen vorerst oder auf Dauer nicht benötigen, können durch den Verkauf von Zertifikaten Einnahmen generieren. Für den Rückbau und die Renaturierung von Siedlungs- und Verkehrsflächen sowie die Umwandlung in landwirtschaftliche Fläche oder Wald gibt es weiße Zertifikate, die von der Gemeinde an anderer Stelle genutzt oder verkauft werden können. Mit den räumlichen Vorgaben der Landesraumordnung und der Regionalplanung sowie den Vorgaben zur Siedlungsdichte entsteht so ein System, in dem Flächen renaturiert werden und nur dort neu gebaut wird, wo es planerisch sinnvoll ist.

    • b) Es wird ein Konzept mit verbindlichen Regeln für eine Flächen-Kreislaufwirtschaft eingeführt. Kommunen, die mehr Siedlungsfläche beanspruchen, als sie nach den zugewiesenen Flächenkontingenten zur Verfügung haben, müssen an anderer Stelle Flächen in gleicher Größe in landwirtschaftliche Flächen oder Wald umwandeln und soweit erforderlich entsiegeln und renaturieren. Fehlen der Kommune entsprechende Flächen, muss sie eine Baulandabgabe einen Fond des Landes abführen. Hierraus sollen an anderer Stelle Gewerbebrachen oder andere bebaute Flächen erworben, zurückrückgebaut und renaturiert werden, auch unter Anwendung des besonderen Städtebaurechts. Diese Flächen müssten dann auch planungsrechtlich Außenbereich werden.

  2. Bund, Länder und weitere überörtliche Planungsträger sind für ihre Flächenansprüche zur Bereitstellung überörtlicher Infrastrukturen wie Bahn, Straßen, Leitungsnetze und Stromerzeugung in das Verfahren einzubeziehen. Notwendige Flächenkontingente werden den Maßnahmenträgern zugeteilt.

  3. In den Städten und Kommunen wird zu einem vereinbarten Stichtag für die bis dahin tatsächlich besiedelten und für die per rechtsgültigen Bebauungsplan bereits geplanten Bereiche eine Innenbereichsabgrenzung gegenüber den primär der Agrar-, Wald- und Naturnutzung zugeordneten Außenbereichen (§35 Baugesetzbuch) vorgenommen, um die danach neu beanspruchten Flächen identifizieren zu können (analog zur Klarstellungssatzung nach §34(4)1 Baugesetzbuch).

  4. In den Städten und Kommunen wird zu einem vereinbarten Stichtag für die bis dahin tatsächlich besiedelten und für die per rechtsgültigen Bebauungsplan bereits geplanten Bereiche eine Innenbereichsabgrenzung gegenüber den primär der Agrar-, Wald- und Naturnutzung zugeordneten Außenbereichen (§35 Baugesetzbuch) vorgenommen, um die danach neu beanspruchten Flächen identifizieren zu können (analog zur Klarstellungssatzung nach §34(4)1 Baugesetzbuch).

  5. Die Kooperation von benachbarten Kommunen zur Bildung von gemeinsamen Baugebieten für neue Siedlungsflächen und für Rückbau und Renaturierung soll unterstützt werden. In den verdichteten Großstadt- und Metropolregionen kann die Regionalplanung die Flächenentwicklung planerisch steuern – auch über Ländergrenzen hinweg.

B) Innenentwicklung als Alternative zum Siedlungsflächenverbrauch nutzen


Innenentwicklung bedeutet, eine effizientere Raumnutzung und das Weiterbauen im Bestand innerorts mit mehr Natur- und Grünflächen und der Entsiegelung von möglichst vielen Asphalt-, Beton- und Pflasterflächen zu verbinden. Daraus folgt:

  1. Bund und Länder setzen den Rahmen für kommunale Entsiegelungsstrategien mit dem Ziel, für die Neuversiegelung gleich große Flächen zu entsiegeln und zu renaturieren. Die Länder unterstützen die Kommunen dabei durch klare Zielvorgaben, landesrechtliche Regelungen und Anreizförderungen. Die Kommunen ermitteln ihre Entsiegelungspotentiale, entwickeln entsprechende Umsetzungsstrategien zur Rückgewinnung von Freiraum und setzen Entsiegelungsmaßnahmen durch Bauleitplanung, kommunale Satzungen und die Anpassung von Niederschlagswassergebühren durch.

  2. Die Renaturierung von versiegelten Flächen, verfallenen Grundstücken und größeren Brachflächen soll zur Senkung der Inanspruchnahme von neuen Siedlungs- und Verkehrsflächen beitragen. Dazu sollen Städte und Kommunen in ihrem Gemeindegebiet einerseits die Grundstücke mit erhaltenswerter Bausubstanz kennzeichnen, um unnötigen und klimaschädlichen Abrissen von Gebäuden zu begegnen. Andererseits sollen sie mit den Grundeigentümern abstimmen, welche (Teil-)Grundstücke aufgrund von verfallener Bausubstanz, Altlasten, Verwahrlosung oder vermeidbarer Versiegelung zurückgebaut und dauerhaft renaturiert werden sollen.

  3. Die Gemeinden erhalten ein generelles Vorkaufsrecht zu realwirtschaftlich verträglichen Ertragswerten für das gesamte Gemeindegebiet, um Bodenfonds aufzubauen und die Stadtentwicklung besser steuern zu können. Das Instrument der „städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“ nach dem Baugesetzbuch (§165ff) ist für bauliche Verdichtungen in Innenbereichen weiterzuentwickeln, um Spekulation mit mindergenutzten Flächen und Gebäuden zu verhindern. Gemeinden, die das aus eigener Kraft nicht leisten können, sollen durch regionale oder landeseigene Entwicklungsgesellschaften unterstützt werden.

  4. Die städtebaulichen Gebote nach §§ 175 bis 179 Baugesetzbuch werden durch Verträge mit den Grundstückseigentümer*innen handhabbar gemacht und durch ein Nutzungsgebot ergänzt. Das Rückbau- und Entsiegelungsgebot (§179 Baugesetzbuch) darf nicht nur eine Duldungspflicht der Eigentümer*innen vorsehen, stattdessen gehören Rückbau und Entsiegelung von verfallenen und verwahrlosten Gebäuden und Grundstücken mit zur Eigentümerverantwortung. Dafür kann die Kommune den Eigentümer*innen Fristen setzen, deren Nichteinhaltung zur Enteignung und Übertragung des Grundstücks auf die Kommune führt. Grundeigentum, das länger als fünf Jahre herrenlos ist oder leer steht, soll über öffentlich bestellte Treuhänder zügig neu genutzt werden.

  5. Wohnraumzweckentfremdung muss in allen Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten (§201a Baugesetzbuch) konsequent bekämpft werden – mit Datenerhebungen, angemessenen Bußgeldern und in Extremfällen auch mit treuhänderischen Ersatzvornahmen. Denn gerade in diesen Regionen lassen manche Eigentümer*innen vermietbare Wohnungen spekulativ leerstehen oder vermieten die Wohnungen überteuert, teilweise tageweise, als Hotelersatz.

  6. Flächenreserven für neue Wohnungen können in vielen leerstehenden Bürogebäuden, in ausufernden Stellplatzanlagen und in immer mehr Einkaufszentren gehoben werden. Landesbauordnungen, die bislang den Umbau des Bestands benachteiligen und Abriss und Neubau begünstigen, müssen geändert werden. Zeitgemäße Energie- und Brandschutzstandards sind sinnvoll, aber ansonsten könnten Umnutzungen weitgehend auf Basis des Baurechts zur Zeit der Errichtung der Gebäude genehmigt werden. Die Verpflichtung zum Bau von Stellplätzen für Wohnungen soll komplett entfallen – wie bereits heute in Berlin, Hamburg und Niedersachsen.

  7. Untergenutzter Wohnraum in Einfamilienhausgebieten kann durch eine individuelle und integrierte Wohnraumberatung der Kommunen, durch die Erleichterung und Förderung von An-, Um- und Ausbaumaßnahmen, durch „Jung kauft Alt“ – Programme, seniorengerechte Wohnprojekte und Nachbarschaftshilfen in Quartiersnähe besser genutzt werden – effizienter, sozial vielfältiger und seniorengerechter. Um große Mietwohnungen effektiver zu nutzen als bislang sind auch mietrechtliche Reformen notwendig.

  8. Für den klimaverträglichen Stadtumbau brauchen die Städte und Kommunen die Beteiligung von vielen engagierten Bürger*innen und Eigentümer*innen. Sie brauchen aber auch verbesserte politische und rechtliche Handlungsspielräume und die notwendigen Finanzen.


C) Neue Flächenbedarfe für Klimafolgenanpassung, erneuerbare Energien und industriellen Strukturwandel

Das Ziel des Netto-Null-Flächenverbrauchs gilt grundsätzlich auch für
Infrastruktur-, Gewerbe- und Industrieflächen. Notwendige Transformationen erzeugen aber auch neue Flächenbedarfe: Erstens werden zusätzliche technische Anlagen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels gebaut werden müssen, wie Deiche oder Hangsicherungen, zweitens braucht die Energie- und Mobilitätswende Flächen, z.B. für Fotovoltaik oder Batteriefabriken, und drittens müssen strategisch relevante Produkte wieder in Europa hergestellt werden, um die durch die Globalisierung entstandenen Abhängigkeiten zu begrenzen. All dies erfordert die Nutzung zusammenhängender größerer Flächen. Diese Entwicklung soll vorrangig auf den reichlich vorhandenen Industriebrachen und bereits gewerblich oder für nicht mehr notwendige Infrastrukturen genutzten Flächen erfolgen, – z.B. Flächen von Erdölraffinerien oder Regionalflughäfen.

Wo dies nicht möglich ist, soll der großmaßstäbliche Flächenverbrauch durch Klimafolgenanpassung sowie die Transformation der Energieversorgung und der Industrie ausgeglichen werden, indem länderübergreifend Naturräume als Elemente eines großräumigen Biotopverbundes etabliert und gesichert werden. Deutschland hat sich 2022 in dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Globaler Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal) verpflichtet, weitreichende Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität umzusetzen und dies in der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt (NBS) 2030 konkretisiert. Dazu soll insbesondere ein bundesweiter großräumiger Biotopverbund beitragen.

D) Die Beschränkung der Siedlungsräume muss mit einer neuen Bodenpolitik und mit neuer Verantwortung des Grundeigentums verbunden werden.

Dem Mangel an bezahlbaren Wohn-, Gewerbe- und Gemeinbedarfsräumen und den einseitig auf Profitsteigerung ausgerichteten globalen Immobilieninvestments muss mit einer neuen Boden- und Grundeigentumspolitik begegnet werden, die die Bodenpreise angemessen begrenzt und den Grundeigentümern Mitverantwortung für das soziale und ökologische Allgemeinwohl abverlangt, so wie es das Grundgesetz in Artikel 14 Satz 2 vorsieht.

Wir unterstützen die Forderung des „Bündnis Bodenwende“ zur Einsetzung einer Enquete-Kommission zur gemeinwohlorientierten Reform der Bodenpolitik durch den Deutschen Bundestag. Darauf aufbauend sind rechtliche und steuerliche Maßnahmen zur Begrenzung der Bodenpreissteigerungen und zur Bestimmung und Konkretisierung der Grundeigentumsverantwortung für das Allgemeinwohl politisch zu beschließen.